IK Industrievereinigung Kunststoffverpackunge...
IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen

„Wir wären als Branche schlecht beraten, einfach still zu halten“

Sie ist eine der Top-Speakerinnen auf dem Deutschen Verpackungsrechtstag 2023 am 8. Februar: Dr. Isabell Schmidt, Geschäftsführerin Kreislaufwirtschaft bei der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen. Im Interview spricht sie darüber, welche Vorurteile ihr in der täglichen Arbeit regelmäßig begegnen, für welchen wachsenden Markt Kunststoffverpackungen prädestiniert sind – und warum verbindliche Rezyklateinsatzquoten für Verpackungen nur der erste Schritt der umfassenden Rohstoffwende des Kunststoffmarkts sind.

 

Frau Dr. Schmidt, Sie werden dankenswerterweise am 8. Februar den zweiten großen Themenblock – „Zukunft des Wert- und Kunststoffes in Zeiten der Transformation“ – eröffnen. Aus Ihrer Sicht: Welche Rolle wird der Kunststoff in den kommenden Jahren im Verpackungssegment spielen? Und wie begründen Sie diese Einschätzung?

 

Dr. Schmidt: „Für Kunststoffverpackungen birgt die Transformation neben Herausforderungen auch Chancen auf nachhaltiges Wachstum. Die Europäische Kommission hat Ende letzten Jahres einen Vorschlag für eine neue EU-Verpackungsverordnung vorgestellt. Sie beabsichtig darin, den Pro-Kopf-Verbrauch an Verpackungsabfällen bis zum Jahr 2040 schrittweise um 15 % zu senken. Dieses Ziel ist ohne Kunststoff nicht erreichbar. Denn Kunststoffverpackungen besitzen durch ihr geringes Gewicht bei zugleich hoher Funktionalität ein großes Potenzial zur Reduktion von Verpackungsabfällen. Das zeigt sich eindrucksvoll daran, dass Kunststoff in Deutschland nur 17 % des Verpackungsmülls ausmacht, obwohl über 60 % der Waren in Kunststoff verpackt werden.

Auch für den wachsenden Markt an Mehrwegverpackungen sind Kunststoffverpackungen prädestiniert. Kein anderes Material verfügt über derart gute Schutzeigenschaften und ist dabei so leicht und auch bei mehrfacher Verwendung so stabil und hygienisch wie Kunststoff. Richtig designt, sind Kunststoffverpackungen zudem sehr gut recyclingfähig. Das wird in Europa zukünftig eine Marktvoraussetzung werden.

Eine Herausforderung bildet heute noch der Rezyklateinsatz, vor allem in Lebensmittel-verpackungen und anderen kontaktsensitiven Anwendungen. Aber auch diese Herausforderung wird mittelfristig gelöst werden. Wichtig ist es vor allem, dass Symbolpolitik und die politische Diskriminierung von Kunststoffen ein Ende finden. Wenn Kunststoff sich in einem fairen ökologischen Wettbewerb zu anderen Materialien bewegen kann, steht ihm eine positive Zukunft bevor.“

 

Das Thema „Rezyklate“ ist von höchster Relevanz – kaum ein Branchenevent, auf dem nicht darüber diskutiert wird. Wie bewertet die IK diese Debatte? Wen sehen Sie in der Pflicht zum Handeln? Wo lauern Fallstricke?

„Die ökologischen Stärken von Kunststoffen erhalten durch den Ersatz erdölbasierter Kunststoffe durch Recyclingmaterial einen zusätzlichen Booster. Denn überall, wo Recyclingmaterial Kunststoffneuware aus fossilen Rohstoffen ersetzt, lassen sich zusätzliche CO2-Einsparungen erwirken. Der Rezyklateinsatz in Kunststoffverpackungen liegt in Deutschland mit durchschnittlich 11 % noch klar unter den Erwartungen, ist aber über die letzten Jahre stark gewachsen. Vor allem der anspruchsvolle Einsatz von Post-Consumer-Rezyklaten hat sich seit 2017 mehr als verdoppelt. Die IK-Mitglieder haben sich zum Ziel gesetzt, den Rezyklateinsatz bis zum Jahr 2025 auf eine Million Tonnen jährlich zu steigern, was einem durchschnittlichen Gehalt von 23 % entspricht. Das zu erreichen, steht nicht allein in der Macht der Kunststoffverarbeiter. Die gesamte Wertschöpfungskette muss eng zusammenarbeiten, um sowohl die Mengen als auch die Qualitäten der Rezyklate in der Kunststoffverarbeitung zu steigern.

Verbindliche Rezyklateinsatzquoten für Verpackungen, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, sind nur der erste Schritt der umfassenden Rohstoffwende des Kunststoffmarkts. Sie sollen die Nachfrage nach Rezyklaten garantieren und damit Investitionen ins Recycling absichern. Allerdings sind die Voraussetzungen für den Einsatz von Rezyklaten stark abhängig von der jeweiligen Verpackung und dem Füllgut. Für einen Großteil der Lebensmittelverpackungen existieren beispielsweise noch gar keine geeigneten Rezyklate am Markt. Bei nicht ausreichend verfügbaren Mengen (Rezyklatmangel) droht ein unverschuldetes Vermarktungsverbot für die Verpackung und eine Gefährdung der betroffenen Lieferketten. Diese Risiken müssen wirksam abgesichert werden. Wir machen uns daher für eine Flexibilisierung über Zertifikathandel stark. Wer für seine Einsatzgebiete keine passenden Reyzyklatqualitäten am Markt vorfindet, könnte durch den Erwerb von Zertifikaten von Unternehmen, die mehr Rezyklate einsetzen als gesetzlich gefordert, Verantwortung übernehmen. So können die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen verschiedener Produkte für den Rezyklateinsatz ausgeglichen werden, ohne den gewollten Nachfrageimpuls nach Rezyklaten in Summe zu verringern.

Langfristig ist der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe wie Erdöl das Ziel. Neben Recyclingmaterialien wird aber auch die Nutzung von Biomasse und CO2 für die Kunststoffproduktion eine wachsende Rolle spielen. In der Initiative „Wir sind Kunststoff“ machen wir uns gemeinsam mit weiteren Verbänden der Kunststoffindustrie für eine energieeffiziente Kaskadennutzung von Kunststoffen und ganzheitliche Materialkreisläufe stark. Diese Rohstoffwende ist in erster Linie eine politische Aufgabe und geht mit der Energiewende Hand in Hand.“

 

Die öffentliche Debatte rund um Kunststoffe bzw. Kunststoffverpackungen erhitzt oftmals die Gemüter. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorurteile in diesem Zusammenhang, die mit Fakten widerlegt werden könnten? Wie erleben Sie die „Stimmungslage“ in Ihrer täglichen Arbeit mit Industrie, Handel, Konsumenten?

„Uns begegnen viele Vorurteile. Eines davon ist, dass Kunststoffe ein Klimakiller seien, weil sie überwiegend auf Erdöl basieren. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Zum einen schützen Kunststoffverpackungen erheblich mehr Ressourcen als sie verbrauchen. Und die Formel Produktschutz = Klimaschutz ist nicht zu unterschätzen beim nachhaltigen Konsum, denn die Produktion von Lebensmitteln und anderen Produkten geht einem erheblich höheren Ressourcen- und Energieverbrauch und damit verbundenen CO2-Emissionen einher als die der Verpackung. Es ist deshalb auch aus Sicht des Klimaschutzes richtig, Erzeugnisse durch eine angemessene Verpackung vor Schaden zu schützen. Zum anderen würden sich die CO2-Emissionen nahezu verdreifachen, wenn wir Kunststoffverpackungen einfach durch andere Verpackungsmaterialien ersetzen würden. Denn auch wenn diese Materialien nicht auf Erdöl basieren, so brauchen sie doch oftmals sehr viel mehr Energie zur Verarbeitung und im Transport. Der Ersatz von Kunststoffen kann daher nicht im Sinne der Transformation sein. Vielmehr brauchen wir die ökologische Rohstoffwende. Der steigende Einsatz von Recyclingmaterial wird die Abhängigkeit vom Erdöl als Rohstoff verringern und die bereits gute Klimabilanz von Kunststoffverpackungen weiter verbessern.

Die Stimmungslage wird zudem geprägt von Umständen, die wir nur sehr begrenzt beeinflussen können: den globalen Eintrag von Abfällen aller Art in die Umwelt und speziell in die Meere, der vor allem in Ländern mit einer schlechten Abfallinfrastruktur stattfindet. Kunststoffteile sammeln sich in der Umwelt an, da sie sich kaum abbauen. Das zu ändern, bedarf großer gemeinsamer und weltweiter Anstrengungen, die derzeit in einem globalen Plastikabkommen verhandelt werden.

Leider setzt das Littering unsere Produkte auch in Ländern mit einer guten Abfallinfrastruktur wie in Deutschland unter Druck. Alternativen locken, zwar nicht mit besseren Eigenschaften oder Ökobilanzen, dafür aber mit oftmals erfolgreichem Greenwashing. Fachexperten beobachten schließlich schon länger kritisch den Trend zur Substitution von reinen Kunststoffverpackungen durch Verbunde – also Verpackungen aus einem Materialmix aus Papier und Kunststoff. Nicht selten werden diese Verbunde mit „weniger Plastik“ beworben und dem Verbraucher damit eine besondere Umweltfreundlichkeit suggeriert, obwohl sie erhebliche Probleme beim Recycling bereiten und durch ihr meist höheres Gewicht das Aufkommen an Verpackungsabfällen weiter steigern.

Wir wären als Branche schlecht beraten, einfach still zu halten. Indem wir selbstkritisch, aber auch selbstbewusst für unsere leistungsstarken Produkte einstehen und belegbare Informationen zur Verfügung stellen, gestalten wir den öffentlichen Diskurs aktiv mit und helfen den Wandel von der linearen zur Kreislaufwirtschaft zum Erfolg zu führen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Kreislaufwirtschaft Vorrang gegenüber dem Plastikverzicht hat und Kunststoffverpackungen fair und angemessen bewertet werden. Wenn für das verpackte Produkt die besonderen Schutzeigenschaften des Kunststoffs von Vorteil sind werden, dann sollte man auf eine voll recyclingfähige Kunststoffverpackung setzen. Erst recht in Regionen, die wie Europa auf eine Circular Economy anstelle der unaufhörlichen Neuproduktion von Materialien setzen. Die große Innovationskraft der mittelständischen Verpackungsindustrie leistet ihr Übriges. Die Chancen der ökologischen Transformation zu ergreifen und einen Imagewechsel für Kunststoffverpackungen herbeizuführen – das ist Anspruch unserer Branche.“




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